Meine Flucht aus dem Elfenbeinturm war spektakulär: Als wäre ich aus Alcatraz ausgebrochen, kreisten die Suchscheinwerfer in Form von beschwörenden Emails über den Himmel und ergänzten das hysterische Gekläff der Wachhunde und damit all jener, die mein Verhalten völlig unmöglich fanden.
Man könne doch nicht einfach so seinen Antrag auf Habilitation zurückziehen, noch darunter unter detaillierter Darlegung der Gründe, die nüchtern betrachtet der Staatsordnung des Elfenbeinturms nicht besonders schmeichelten.
Je drängender die Versuche, mich umzustimmen, jedoch wurden, desto mehr festigte sich mein Entschluss, dem Turm ein für alle Mal den Rücken zu kehren. Auch wenn dies das Ende meiner wissenschaftlichen Laufbahn bedeuten mochte: Ich hatte keine Angst mehr. Die Götter des Olymp hatten ihre Macht über mich verloren.
Rückblickend hätte ich diese Entscheidung vermutlich bereits früher treffen können, hatte sich doch schon seit längerem eine gewisse Inkompatibilität zwischen der realen Welt und den Gepflogenheiten im Elfenbeinturm abgezeichnet. Doch gab es dort auch Bereiche, in denen ich mich überaus gerne aufgehalten hatte – in erster Linie jene, wo man mit der am wenigsten geachteten Tätigkeit befasst war: der Arbeit mit den Studenten. Absurderweise schienen sie, die den Turmbewohnern erst ihre Daseinsberechtigung gaben, jene am meisten zu stören.
Ich erinnere mich gut an die langen und üppigen Lunch-Treffen meiner ersten Turm-Zeit, die vornehmlich dazu gedient hatten, schlecht über (natürlich nicht anwesende) Kollegen, Studenten und Mitarbeiter zu sprechen. Unser Turmchef beendete das Essen stets mit einem Bedauern und der Anmerkung, nun wieder zurück in den Unterricht zu müssen, um sich dort zu langweilen.
Die Anzeichen dafür, dass das Dasein im Elfenbeinturm mehr Ähnlichkeit mit Gilead hat als mit einem Umfeld des freien, neugierigen und ‚open-minded‘ Denkens hatten sich in den vergangenen Jahren gemehrt, ebenso wie die Erkenntnis, dass Angst der größte Helfer bei der Einhaltung der ungeschriebenen Turm-Gesetze ist: Die Angst vor dem Ablauf der kurzen Arbeitsverträge; Angst vor einer Nicht-Verlängerung des Arbeitsvertrages; Angst, nicht genügend zu publizieren; Angst vor der dahin rasenden Zeit, die für das Arbeitspensum stets zu kurz ist – und nicht zuletzt vor der Ungnade der Professoren, die als Herrscher dieses Universums nur den Daumen zu senken brauchen: und dann werden die Raubtiere in die Arena gelassen.