Das Geheimnis des außerordentlichen Menschen ist in den meisten Fällen nichts als Konsequenz. (Buddha) – Teil 2

Ich steckte also meinen USB-Stick an und startete die Präsentation. Vor mir meine Habilitationsschrift: mehrere hundert Seiten, tausende Stunden Arbeit. Dutzende von Reisen, die ich unternommen hatte, um meine Untersuchungsobjekte zu dokumentieren, um in Archiven und Bibliotheken zu recherchieren, um Interviews zu führen. Dafür tausende Euro aus eigener Tasche bezahlt, denn mein Forschungsstipendium deckte nur einen Teil der Ausgaben ab. Wie viele Abende, Wochenenden und Sommer damit am Schreibtisch verbracht? Keine Ahnung. Sehr viele jedenfalls.
Nach einer halben Stunde würgte mich die Turmherrscherin rüde ab. Die Raumtemperatur war in der Zwischenzeit weit unter den Gefrierpunkt gerauscht.
„Das kannst du alles vergessen!“, blaffte sie mich an.
„Wieso“, entgegnete ich, „jede deiner Anregungen ist eingearbeitet, und vor kurzem meintest du noch, damit sei das Manuskript abgabereif.“
Was nun folgte, war ein filmreifes Wortgefecht. Mein wiederholter Einwand, sie kenne meinen Forschungsansatz doch seit mehreren Jahren und hätte mich als Sklavin – äh: Habilitandin – von einer anderen Galeere – hoppla: Universität – quasi abgeworben und damit aktiv in ihre Crew aufgenommen, verhallte im Off.

Ich verstand die Welt nicht mehr. Auch wenn die Herrscherin uns häufig blöd angeredet, mit sinnlosen Arbeitsaufträgen überhäuft und dabei stets signalisiert hatte, wer hier der Chef im Ring war: so irrational bösartig hatte ich sie noch nie erlebt.
Ihr letztes Gift versprühte sie mit den Worten: „Damit wirst du von mir nicht habilitiert!“

Mir war sauschlecht. Scheiße, dachte ich mir, was mache ich jetzt bloß?
Um es abzukürzen: Eine Weile bin ich der Wurst noch brav nachgesprungen, habe alles mögliche versucht, um die herrscherliche Gunst wieder zu erlangen, um andere Herrscher auf die krassen Verhältnisse in unserer Turmetage aufmerksam zu machen. Leider vergeblich.
Im Rückblick hätte ich meine Bemühungen nach diesem denkwürdigen Treffen einfach einstellen sollen. Schade um jede Stunde Zeit, die ich weiter in das Projekt investierte, denn da waren die Würfel offenbar sowas von gefallen….

Doch ich bekam eine neue Gelegenheit, Konsequenz zu üben.
Vor einem Jahr stand ich in Verhandlungen mit einem Verlag, der mein Buch – eben jenes Monster-Projekt – veröffentlichen wollte. Innerhalb von drei Monaten hatten dort vier verschiedene Lektoren mein Manuskript in Händen gehalten und dabei gekonnt grammatikalische Fehler eingebaut, die ich mühevoll wieder ausbauen musste. Die Arbeiten gingen schleppend voran, Probeabzüge wurden versprochen und nicht geliefert, Kommunikation fand weitgehend keine statt und irgendwann dachte ich mir: Da frage ich jetzt mal nach, irgendwo scheint es hier zu haken. Böser Fehler.


Am nächsten Tag rief mich der Chef persönlich an. Das ist aber nett, dachte ich mir zunächst, prima, da klären wir direkt auf dem kurzen Weg, wie wir nun fortfahren wollen. Falsch gedacht: Ich erlebte eine Gardinenpredigt erster Güteklasse. Mit mir sei die Zusammenarbeit unglaublich schwierig, ich sei unzuverlässig, unangemessen lästig – und überhaupt solle ich nicht in seinem Vorzimmer anrufen und mich beschweren.
Interessant, dachte ich mir. Ein vergleichbares Agro-Trara habe ich doch schon einmal erlebt.
Ich lehnte mich also zurück und ließ den Verleger am anderen Ende des Hörers toben. Irgendwann verstummte er. „Sind Sie noch dran?“
„Aber klar“, entgegnete ich munter.
„Und was sagen Sie jetzt dazu?“, wollte er wissen.
„Dass ich mit Ihnen nicht weiter zusammen arbeite“, antwortete ich.
„Wie jetzt? Es wurden schon Leistungen erbracht und Sie haben einen Vertrag unterschrieben!“, lärmte es am Ende der Leitung wieder los.
„Dann schicken Sie mir doch einfach eine Rechnung“, meinte ich freundlich, übte Konsequenz und kaufte mich so zumindest von dieser Galeere los.

PS: Beim nächsten Anlauf klappte alles wunderbar. Mein Monster-Projekt, das mich so viele Nerven gekostet hat, liegt heute gebändigt zwischen zwei Buchdeckeln. Der neue Verleger war supernett und sein Team einfach top. Davor hatte ich vielleicht einfach nur Pech… oder Buddha wollte mich lernen lassen.

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