Coram iudice et in alto mari in manu dei.(Alte Juristenweisheit)

Wie Sie vielleicht wissen (und auf diesem Blog ja schon mehrfach erfahren konnten) ist das Leben im Elfenbeinturm von zahllosen Unwägbarkeiten geprägt. Das gilt nicht für die Turmherrscher, sondern für die Sklaven, die nicht selten den Acker bestellen, dessen reiche Ernte dann die oberen Etagen einfahren.
So hatte einer meiner Mit-Sklaven irgendwann keine Lust mehr, die Aufsätze und Tagungsbeiträge seiner Herrin mit den nötigen Fußnoten zu versehen: das heisst, den kühn skizzierten herrscherlichen Gedanken die notwendige Verankerung im wissenschaftlichen Diskurs zu geben. Ein Knochenjob, für den der Begriff Sklavenarbeit passt wie für kaum eine andere Turmtätigkeit. Versteht sich von selbst, dass der Name meines Kollegen in keiner der Publikationen Erwähnung fand. Jedenfalls lehnte er eine Verlängerung seines Frondienstes ab, verließ den Elfenbeinturm und ist heute ein überaus erfolgreicher Vertreter seines Faches in der echten Welt.

Ich für meinen Teil brauchte lange Zeit, um ebenso souverän zu handeln. Und ließ mich auf dem Weg dorthin einige Male gehörig verarschen.
So hatte ich in meinem ersten Turm angeheuert mit der Vorgabe, eine teil-karenzierte Kollegin für zweieinhalb Jahre zu vertreten. Von Anfang an hüllten sich mein Herrscher und die etablierten Türmler in diffuse Andeutungen, was danach folgen könnte. Ob die Kollegin in vollem Stundenausmaß zurück käme, ob sie ganz aufhöre und sich in einen verfrühten Ruhestand zurückziehe? Keiner schein das zu wissen und zunächst dachte ich auch nicht groß darüber nach. Ich hatte mein Lieblings-Beschäftigungsfeld gefunden, forschte, lehrte, schrieb und trug vor – und das mit vollem Einsatz.
Als sich die Laufzeit meines Vertrages dem Ende näherte, bat mich mein Herrscher zu einem Gespräch in Beisein der karenzierten Kollegin. Nach einigen Takten belanglosen Smalltalks kam er zum Punkt: Die Kollegin werde für ein Jahr zurückkehren in jenem Stundenausmaß, das ich hatte. Die übrigen 10 Wochenstunden sollten nun wiederum mir zufallen. Nach diesem Jahr werde die Kollegin sich endgültig zurück ziehen und ich würde dann die Stelle bekommen.

Kennen Sie das Gefühl, wenn man Ihnen ein Angebot macht, das in jeglicher Hinsicht misstrauisch stimmt? Und dabei so tut, als wäre es DER Sechser im Lotto, weil damit ja am Ende des Tages sooo viele Vorteile verbunden wären?
Genauso klang das Ganze in meinen Ohren.
Ich zögerte also. Machte den Türmlern klar, dass ich von 400 € im Monat (und damit dem, was die 10 Stunden-Verpflichtung abwerfen würde) nicht würde leben können. Und dass ich mich dann lieber um etwas anderes umsehen würde.
Jetzt kam Bewegung in die Sache. Mein Herrscher lief zur Hochform auf und beschwor mich:
„Sie wollen sich doch hier habilitieren. Und das geht viel leichter, wenn Sie Teil der Fakultät sind. Als Externe ist das ungleich schwieriger. Und danach haben Sie ja Ihre Stelle bei uns!“ Riechen Sie die Wurst, die vor meiner Nase baumelte? Ich roch sie auch und begann, nachzudenken.
„Aber wie soll ich denn meinen Lebensunterhalt bestreiten?“, wandte ich ein.
„Da müssen Sie halt einen Kredit aufnehmen. 6000 € könnten reichen“, meinte der Herrscher und begann hingebungsvoll, seine Goldrandbrille mit dem seidenen Einstecktuch aus seiner Jackettasche zu polieren. Sein schwerer Siegelring blitze bei dieser Tätigkeit auf.
Ganz offensichtlich gingen ihm meine Sorgen mehr oder minder am Enddarm vorbei.

Nun fragen Sie sich, wie ich mich entschieden habe?
Natürlich für das unmoralische Angebot. Beinahe zeitgleich begann ich, parallel zum Turm freiberuflich für eine private Stiftung zu arbeiten. Mit den beiden Jobs kam ich soweit über die Runden, ohne die Bank anpumpen zu müssen. Und ich hatte ja schließlich die Zusage, danach auf festem Turmboden stehen zu können.

Auch dieses Jahr neigte sich dem Ende zu, als mich mein Herrscher im Vorbeigehen ansprach: „Was ich Ihnen noch sagen wollte: Frau X hat sich übrigens anders entschieden und wird vollständig wieder in den Turm zurückkommen.“
„Was? Wie meinen Sie das“, entgegnete ich entgeistert. „Das war doch ganz anders ausgemacht?“ Ich war völlig von den Socken.
„Tja, ich kann da leider gar nichts machen“, bedauerte mein Herrscher. „Aber Sie finden bestimmt etwas anderes“, laichte er halbherzig ab und klopfte mir generös auf die Schulter.
Ich stieg auf mein Fahrrad und radelte nach Hause. Obwohl es ein strahlender Sommertag war, sah ich den Weg vor lauter Tränen kaum. Noch nie war ich so eiskalt verarscht worden.

Mein Vater sagt immer: „Vor dem Gericht und auf hoher See ist man in Gottes Hand.“
Einen Ort hast du vergessen, Papa, für den das ebenfalls gilt: den Elfenbeinturm. Aber vielleicht ist man da auch eher in der Hand des Teufels.

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