Wenn du kritisiert wirst, dann musst du irgend etwas richtig machen. Denn man greift nur denjenigen an, der den Ball hat.(Bruce Lee)

Meine erste Zeit im Elfenbeinturm fand ich gar nicht so schlecht: aber nur deshalb, weil ich überhaupt nicht durchblickte, worum es in diesem Gemäuer überhaupt ging. Die ungeschriebenen Gesetze waren mir nicht bekannt und ich hatte keine Ahnung, wie die Turmbewohner tickten. Allein diesem Umstand sowie der Tatsache, dass ich eine entfernte Ähnlichkeit mit Bambi habe (und immer wieder für genau so naiv gehalten werde) war es zu verdanken, dass ich für eine Weile unter dem Radar flog und mir keine größeren Schwierigkeiten einhandelte.
Bereits da war mir allerdings aufgefallen, wie auffallend unkollegial sich viele der etablierten Turmbewohner verhielten. So hörte ich immer wieder, ich müsse viiieeel mehr publizieren, denn die Publikationsliste sei für das weitere Fortkommen im Elfenbeinturm das A und O. Hier gelte: je länger, desto besser.
Nun ist es aber für einen Turm-Neuling ohne Kontakte und Beziehungen in die Turm-Umwelt gar nicht so einfach, Publikationsmöglichkeiten in einschlägigen Zeitschriften, Sammelbänden, Tagungsberichten etc. zu finden. Denn man kann leider nicht einfach so bei irgendeinem Verlag anrufen und sagen: „Hört mal, ich hätte da etwas Interessantes auf meinem Schreibtisch: Könnt ihr das drucken?“
Also wollte ich von einem etablierten Turmkollegen wissen, wie ich in die Schiene des Veröffentlichens am besten einschleifen könnte und ob er nicht irgendwelche Kontakte hätte, bei denen ich vorsprechen könnte.
Kennen Sie den nautischen Befehl „Schotten dicht“? Genau so dicht wie ein untergehendes Schiff sein Innenleben machte mein Kollege.
„Also, das ist gaaaanz schwierig“, meinte er und lehnte sich in seinem Bürostuhl zurück. „Du musst halt schauen, dass du da irgendwie reinkommst und dir einen Namen machst.“
Aha, dachte ich mir. Schon klar. Genau deswegen reden wir ja gerade, wie ich das am besten anstellen soll.
„Könntest du mir vielleicht einen Kontakt nennen oder mich irgendwo empfehlen?“ hakte ich zaghaft nach. „Du kennst doch die Szene und bist in allen möglichen Gremien und Arbeitsgruppen.“
Der Türmler lehnte sich noch weiter zurück. „Das wird nichts bringen“, sagte er. „Ich bin in einem ganz anderen Themengebiet unterwegs als du. Da gibt es keine Überschneidungen. Tut mir echt leid!“
Wie lustig, dachte ich, als ich mit hängenden Schultern zurück in mein Büro trottete. Ich soll veröffentlichen, das geht aber nur, wenn mich die Leute kennen, doch wie sollen die mich kennenlernen, wenn ich gar nicht dazu komme, mich mit meinen Elaboraten vorzustellen. (Irgendwann hatte ich einfach Glück, bin an den Herausgeber einer Fachzeitschrift geraten, der sich für meine Themen interessierte, und nach einer Weile lief die Sache von selbst.)

Der wenig kollegiale Türmler hingegen erwies sich noch an ganz anderer Stelle als eifriger Balljäger, wenn auch mit nur mäßigem Erfolg.
Meine Leidenschaft im Elfenbeinturm galt vom ersten Moment an der Lehre – und damit einem Feld, das von vielen Türmlern als lästige Unterbrechung ihres Forscherdaseins angesehen wird. Ohne vorherige Erfahrungen in der Hochschuldidaktik warf ich mich also im Seminarraum und Hörsaal an die Lehr-Front und unterrichtete alles, was das Curriculum so hergab. Irgendwas muss ich richtig gemacht haben, denn meine Lehrveranstaltungen waren immer knackevoll.
Damit rief ich jedoch den Unmut der etablierten Turmbewohner auf den Plan. Plötzlich erfasste mich das Radar und meldete: Gefahr von Innen!
Das klingt jetzt paranoid? Nix da. Lesen Sie weiter.
Wenig später wurde der Lehrplan für das kommende Studienjahr zusammengestellt und jeder Turmbewohner befragt, welche Lehrveranstaltungen er denn gerne übernehmen würde. Ich wollte, passend zu einigen vorherigen Seminarthemen, eine Exkursion anbieten. „Das macht aber sehr viel Arbeit und braucht einiges an Erfahrung“, versuchte der Türmler, der die Liste führte, abzuwiegeln. „Macht gar nichts“, meinte ich fröhlich, „das kriege ich schon hin.“
Das habe ich auch. Aber nur knapp. Denn plötzlich kursierte ein Erlass, an genau dieser Exkursion dürften nur Bachelor-Studenten teilnehmen. Nun waren viele Studenten, die gerne mitgefahren wären, bereits im Master-Studiengang und um eine Exkursion auf die Beine zu stellen, brauchte es eine Mindestanzahl an Teilnehmern. Schlussendlich waren wir genug, die Exkursion ein voller Erfolg und gerade die anspruchsvollen Senior-Studenten schwer begeistert. Interessant war jedoch, dass weder vorher noch nachher bei der Bestückung von Exkursionen getrennt wurde zwischen Bachelor- und Masterstudenten. Offenbar hatte man eine Regel maßgeschneidert.

Auch die plötzliche Dauerbelegung von Hörsälen ab 9 Uhr (und damit ab dem regulären Veranstaltungsbeginn im Elfenbeinturm) konnte den Zustrom in meine Lehrveranstaltungen nicht schmälern. Ich stand also bereits um 7.30 Uhr (und damit zu einer zutiefst un-studentischen Uhrzeit) im Saal, erteilte umfängliche Frühstückserlaubnis und wurde selbst fürsorglich mit Kaffe aus riesigen Thermoskannen und selbst gebackenen Croissants eingedeckt. Was ganz offenbar den Hörsaal leeren sollte, wurde zu einem zusammen schweißenden Gruppenerlebnis.
Nach einiger Zeit sprach mich der ungefällige Türmler auf dem Gang an. „Jetzt weiß ich, wo meine ganzen Studenten sind“, raunzte er mir grämlich entgegen. „Hä?“, sagte ich, „was meinst du?“
„Die sitzen alle bei dir drin, und meine Veranstaltung ist halb leer!“
Tja, dachte ich. Spiel, Satz, Sieg.

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