Denke daran, dass etwas, das du nicht bekommst, manchmal eine wunderbare Fügung des Schicksals sein kann. (Dalai Lama)

Vor kurzem traf ich zufällig eine ehemalige Mit-Sklavin. Wir hatten im selben Turm gedient, allerdings in verschiedenen Stockwerken. Sie ist eine der nettesten Sklavinnen, denen ich je begegnet bin: Klug, aber nicht klugscheißerisch; begabt, aber nicht eingebildet; kollegial anstelle von hinterhältig. Einfach sympathisch – und damit will sie eigentlich nicht so recht in den Elfenbeinturm passen. Denn irgendwie ist es doch so, dass Herr und G’scherr sich über kurz oder lang immer angleichen. Und bei nicht wenigen Turmsklaven kann man eine überraschende Assimilation beobachten: Doch darüber an anderer Stelle mehr.

Unser Wiedersehen mussten wir feiern. Bei einigen Tassen Kaffee brachten wir uns auf den neuesten Stand darüber, wer in der Zwischenzeit was erlebt hatte. OK, mein Part fiel eher kurz aus, denn meine Flucht aus dem Elfenbeinturm hatte sich offenbar weit über dessen Mauern hinaus herumgesprochen. Doch was meine Kollegin erzählte, ließ mich sehr nachdenklich werden.

Sie war in genau der Karriereschiene angelangt, die ich ebenfalls angestrebt und der ich fast ein Jahrzehnt meiner Lebenszeit alles untergeordnet hatte:
Schon während ihres Doktorats hatte sie zunächst an der Universität, an der sie auch studiert hatte, eine Assistentenstelle gefunden. Allein das ist ja schon einmal Bingo, denn wie viele Turmsklaven vagabundieren spätestens nach der Promotion auf der Suche nach einer Uni-Stelle durch die Lande. (Zunächst) dort bleiben zu können, wo man seine wissenschaftliche Ausbildung genossen hat, ist damit eine erfreuliche Nicht-Selbstverständlichkeit.
Nach ihrer Promotion begann meine Kollegin, sich auf dem Turm-Markt umzusehen und fand schnell eine aussichtsreiche Stelle als Juniorprofessorin. Falls Sie, lieber Leser, mit den Begrifflichkeiten im Elfenbeinturm nicht vertraut sind: Juniorprofessuren liegen, was ihre Möglichkeiten anbelangt, nahe an den bekannten Assistenzen, klingen aber deutlich besser und versprechen deutlich mehr. Konkret sind Juniorprofessorinnen in erheblichem Umfang in die universitäre Lehre eingebunden, in zahlreichen Gremien verpflichtet (Sie wissen schon, das ist die Sache mit dem energieautarken Kaffeautomaten) und strampeln sich im Hamsterrad der Projektanträge und Publikationslisten ab. Bonus daran ist, dass sie nach erfolgreicher Evaluation ihrer Leistungen keine Habilitationsschrift vorlegen müssen, um den Titel „Professor“ tragen zu dürfen. Klingt doch gar nicht schlecht, meinen Sie? Nun ja. Ich würde eher sagen, das Modell Juniorprofessur ist die dicke Käsekrainer am Haken, der man als Turmsklave nachspringen kann, im Gegensatz zu den kleineren Nürnberger Rostbratwürsteln der Assistentenstellen.

Diesen Eindruck bekam ich jedenfalls, als mir meine Mit-Sklavin von ihren Erfahrungen erzählte. Als Damoklesschwert schwebt über ihr die Zwischenevaluation, die über den weiteren Fortgang ihrer Karriere entscheidet. Gut, das weiß man vorher, wenn man sich auf eine solche Stelle bewirbt. Jede Karriereplanung ist immer mit Risiken verbunden. Was mich jedoch so bestürzte war zu sehen, wie unglücklich meine Kollegin in dieser eigentlich tollen Position war:
Nicht wirklich ernst genommen von den Kollegen, die alle „richtige“ Professuren innehaben und die sich allein aus der Tatsache, eine Habilitation vorweisen zu können, einer anderen Turmklasse zugehörig fühlen. Im permanenten Druck, nicht genug Output zu produzieren. In Sorge, was passiert, wenn die Evaluation ungünstig ausfällt und die Juniorprofessur nur eine weitere Verlängerung der Sklavenzeit bedeutet ohne abschließende Zulassung in die Beletage des Elfenbeinturms. Und wissend, dass beim späteren Kampf um die wenigen Professorenstellen diejenigen Mitbewerber die besseren Chancen haben, die eben doch ganz klassisch eine Habilitationsschrift vorlegen können.
Ich trank schweigend meinen Kaffe aus. Beim Abschied nahm ich meine Kollegin fest in den Arm und wünschte ihr alles Gute. Und das meine ich auch so.

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